Er kämpft für Gleichberechtigung für Sinti und Roma

Er kämpft für Gleichberechtigung für Sinti und Roma

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Er kämpft für Gleichberechtigung für Sinti und Roma
PORTRÄT CHRISTIAN KLING
Christian Kling ist der neue Vorsitzende des Landesverbandes Deutscher Sinti und Roma in Rheinland-Pfalz. Er hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Minderheit und ihre Beiträge in der Gesellschaft sichtbar zu machen und gegen Antiziganismus zu kämpfen. Er erzählt von seiner Familiengeschichte und wo er selbst schon Ausgrenzung erfahren musste.

VON JOHANNA MÜNCH

TRIER  Eine Bewerbung für eine Arbeitsstelle, Wohnungsbesichtigungen oder einen Kitaplatz finden: Fast jeder hat so eine Situation schon erlebt. Dabei nach der Herkunft, der Religion oder der kulturellen Identität gefragt und infolgedessen darauf reduziert zu werden, ist für einen Großteil der Bevölkerung nicht vorstellbar. Für Sinti und Roma gehört das jedoch noch immer zum Alltag – zumeist mit negativen Auswirkungen.
„Eine junge Frau, die auch Angehörige der Minderheit ist, kam zu uns und erzählte, sie habe einen Ausbildungsplatz mündlich bereits zugesagt bekommen. Nachdem sich herausstellte, dass sie Angehörige der Minderheit ist, wurde der Platz anderweitig vergeben“, erzählt Christian Kling, gebürtiger Trierer und selbst Sinto. Seit 13 Jahren setzt er sich für seine kulturelle Identität und somit für die Sinti und Roma ein. Zu Beginn arbeitete er im Dokumentationszentrum in Heidelberg. Als er nach Trier zurückkehrte, engagierte er sich privat und im Landesverband, in dem er seit drei Jahren Vorstandsmitglied ist. Nun folgt er als Vorsitzender auf Jacques Delfeld, der 35 Jahre lang den Landesverband leitete. „Es ehrt mich, dieses Amt nun zu übernehmen und ich hoffe, dass ich der Aufgabe genauso gerecht werde wie mein Vorgänger“, sagt er.

Dass Sinti und Roma in Rheinland-Pfalz solche Vorfälle von Diskriminierung, wie Christian Kling ihn beschreibt, online melden können, ist eine Errungenschaft des Landesver-bandes. Mithilfe des Monitoringsystems „Melde- und Informationsstelle Antiziganismus Rheinland-Pfalz“ (kurz „MIA-RLP“) können Betroffene Antiziganismus melden und ge-gebenenfalls Hilfe erhalten (siehe Infobox).

Antiziganismus zieht sich auch durch die Familiengeschichte von Christian Kling. Seine Großeltern wurden bei den Deportationen am 16. Mai 1940 in Waggons nach Polen gebracht, wo sie unter menschenunwürdigen Bedingungen in einem Ghetto lebten und Zwangsarbeit in Lagern verrichten mussten. Nach dem Krieg kehrten sie nach Trier zurück. Denn entgegen dem vor allem von den Nationalsozialisten konstruierten Bild des heimatlosen und umherziehenden Volkes haben Sinti und Roma Wurzeln in Deutschland, die bis ins 15. Jahrhundert zurückreichen. Auch Christian Klings Großeltern sahen in Deutschland nach dem Krieg weiterhin ihre Heimat und kehrten zurück. Als Kind zu erfahren, dass die eigenen Großeltern deportiert wurden, war für ihn belastend: „Kein Angehöriger der Minderheit hat eine unbeschwerte Kindheit. Die Traumata reichen bis in die heutigen Generationen und der Schatten des Holocaust wirkt immer nach.“

Auch Christian Kling erlebt selbst häufig Diskriminierung, sobald Menschen erfahren, dass er Angehöriger der Minderheit ist. Ein besonders einschneidendes Erlebnis sei gewesen, als er mit Freunden und Familie auf einem Karnevalsumzug war. Eine Gruppe alkoholisierter und offensichtlich rechter Personen habe mit Absicht einen Bierbecher auf einen Freund von Christian Kling, dessen Hautfarbe, wie er sagt, „ etwas dunkler war“, verschüttet. „Manchen von uns sieht man die Zugehörigkeit eher an als anderen“, sagt Kling. Es sei zu einer Rangelei gekommen und Christian Kling und seine Freunde und Familie, unter denen auch kleine Kinder waren, mussten von der Veranstaltung fliehen. „Und das ist nur ein Vorfall von vielen“, sagt er.
Dazu inspiriert, sich aktiv für seine kulturelle Identität und für Sinti und Roma einzusetzen, habe ihn vor allem sein Großonkel: „Er ist eines meiner Leitbilder.“ Davon gäbe es in der Minderheit nicht viele. „Viele verstecken ihre Identität, weil sie Angst vor Benachteiligung haben“, sagt Kling.

Sein Großonkel habe immer zu seiner Identität als Sinto gestanden, auch in der Öffentlichkeit. Das hat Christian Kling inspiriert: „Ich habe mich nie verleugnet.“ Dass er nun vermehrt öffentlich auftreten wird, beschäftigt ihn dennoch. „Man macht sich schon seine Gedanken. Ich würde meine Familie nicht zu jeder Veranstaltung mitnehmen.“ Auch sein Großonkel, der durch seinen Einsatz vermehrt in der Öffentlichkeit steht, fürchtet Anfeindungen.
„Das Grundproblem ist, dass das Interesse, etwas an den Missständen zu ändern, seitens der Gesellschaft fehlt. Wir kämpfen für die Umsetzung des Grundgesetzes, was nicht unse-re Aufgabe sein sollte“, sagt Kling. Er wünsche sich ein vorurteilsfreies Miteinander und dass Sinti und Roma ein gleichberechtigter Teil der Gesellschaft werden. Ohne die Eigen-initiative der Sinti und Roma selbst, etwa durch den Zentralrat Deutscher Sinti und Roma und den Landesverbänden, würde das nie passieren. „Ich wünsche mir, dass wir als Gesellschaft das Miteinander positiv verändern und die Holocaust-Überlebenden irgendwann mit Frieden auf die Gesellschaft blicken können.“

INFO
Der Landesverband Deutscher Sinti und Roma

Der Landesverband der Sinti und Roma in Rheinland-Pfalz besteht seit 1983 und ist einer von neun Landesverbänden im Zentralrat Deutscher Sinti und Roma. Zu Beginn leistete der Verband vor allem Hilfestellung für Holocaust-Überlebende in Fragen der Entschädigung. Heute unterstützt der Landesverband Sinti und Roma in sozialen Angelegenheiten und in verschiedensten Lebensbereichen. Zudem setzt er sich für die öffentliche Wahrnehmung und die Gedenkarbeit, etwa in Form von Mahnmalen, ein. Außerdem organisiert der Verband Kulturveranstaltungen, um Dialoge herzustellen und über die Geschichte und die Minderheit selbst zu informieren.

Auch der Antiziganismus und der Kampf gegen diesen bildet einen Schwerpunkt des Verbandes. Aus diesem Grund wurde im Juni 2022 die Monitoringstelle „Melde- und Informationsstelle Antiziganismus Rheinland-Pfalz (kurz „MIA-RLP“) gegründet, wo Betroffene Antiziganismus melden und Hilfe erhalten können. Zudem dient MIA-RLP der Dokumentation und Sichtbarmachung von Antiziganismus für die Öffentlichkeit und dient als Grundlage für Behörden und Zivilgesellschafsellschafsellschaften zur Prävention. Antiziganismus beschreibt die Diskriminierung bestimmter Bevölkerungsgruppen, wie etwa die Minderheit der Jenischen, Schausteller und auch Bürger, die nicht den in der Gesellschaft als normal angesehenen Lebensstil pflegen. Die Sinti und Roma sind die größte Betroffenengruppe im Antiziganismus.

 

Quelle: https://www.volksfreund.de/region/trier-trierer-land/christian-kling-ist-landesvorsitzender-der-sinti-und-roma-in-rlp_aid-110087713
Foto: Johanna Münch
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